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Bleibende Impulse als Nachhaltigkeitsstrategie? : Datum:

Natürlich mag es dem einen oder der anderen tragisch erscheinen, dass sich die Lehrkräftebildung in Deutschland zehn Jahre nach der Vereinbarung von Bund und Ländern zur „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ in ihrer größten Krise seit den 1970er Jahren befindet. Welchen Mehrwert können in dieser Situation Erkenntnisse lehrkräftebildender Forschung für die Praxis haben? Bleibender Impuls an der Bielefeld School of Education (BiSEd) ist der Transfer über Zentren für Forschung und Entwicklung (FuE).

Prof. Dr. Martin Heinrich sitzt, hinter ihm großformatige Bilder
Prof. Dr. Martin Heinrich ist Professor für Schulentwicklung und Schulforschung an der Universität Bielefeld. © privat

Ein Kommentar von Martin Heinrich

Bleibende Impulse als Nachhaltigkeitskonzept?

Zum Ende der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ (QLB) stellen sich viele Menschen die Frage, welche Effekte dieses großangelegte Programm gehabt hat und inwieweit es für die Zukunft Bedeutung haben wird. Der paradoxe Titel dieses Newsletters „bleibende Impulse“ verweist auf das vielerorts bestehende Bedürfnis, die Arbeitsergebnisse zu verstetigen.

Die Vorstellung der „bleibenden Impulse“ lässt an zwei Ebenen denken, die der Handlungsimpulse und die der Strukturen. Viele Nachhaltigkeitskonzepte setzen auf Strukturen, weil dahinter die Vorstellung liegt, dass nur Strukturen Dauerhaftigkeit ermöglichen. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder Kritik an den starren und verkrusteten Strukturen der Lehrkräftebildung. So wird fraglich, ob Strukturbildung die adäquate Antwort auf die Nachhaltigkeitsproblematik sein kann. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet Anthony Giddens Theorie der „Dualität von Handlung und Struktur“. Was ist damit gemeint?

FuE-Zentren als duale Strukturen

Wie Giddens zeigt, stehen Handlungsimpulse und Strukturen nicht zwangsläufig in Spannung zueinander. Vielmehr ist jede Handlung immer schon in Strukturen eingebettet und verändert diese zugleich. Dieser Logik folgend sind Orte nützlich, an denen dieses Zusammenspiel bewusst kultiviert wird. An der Universität Bielefeld wurden hierfür an der School of Education (BiSEd) in der QLB vier FuE-Zentren gegründet sowie ein Netzwerk zur Digitalisierung (bi*digital), gestützt durch ein dynamisches Internetportal (PortaBLe) und mehrere open-access Onlinezeitschriften (HLZ, PFLB, DiMawe). Diese vier FuE-Zentren für Praxisreflexion, Forschendes Lernen, Inklusion und Phasenübergriff als „FuE-Zentren“ zu markieren, verweist auf diese Vorstellung der Dualität der Struktur. Hier wird das dialektische Zusammenspiel von Forschung und Entwicklung auf Dauer gestellt, indem einerseits Kommunikations- und Arbeitsstrukturen vorgehalten werden, diese aber andererseits immer auch im Prozess flexibler netzwerkartiger Arbeit der Revision unterliegen.

Die FuE-Zentren wurden im Förderzeitraum inhaltlich stark von den Teilmaßnahmen aus den QLB-Projekten „BiProfessional“ und „ComeIn“ gespeist. Dank der breiten Verankerung mit über 70 Bielefelder Projektbeteiligten aus allen lehrkräftebildenden Fakultäten hat sich eine Community gebildet, die als Netzwerk der FuE-Arbeit diese Strukturen fortschreibt, auch wenn die Förderung ausläuft. Damit wird die Kommunikationsstruktur aufrechterhalten, sodass die zweite Form der Nachhaltigkeit bedeutsam werden kann, nämlich die Diskursimpulse, die nur „dauerhafte Impulse“ sind, wenn sie tatsächlich einen Schwingungsimpuls in ein Netzwerk gegeben haben, innerhalb dessen sie weiter fortwirken.

Bleibende Impulse durch Gedankenfiguren – zum Beispiel Inklusion!

In der Theoriebildung bestimmen spezifische Diskursimpulse das Denken und Handeln. Eine Gedankenfigur wird also zu einem feststehenden Topos, der immer wieder aufgerufen wird, um die weiteren Aktivitäten zu strukturieren. Zum Ende der QLB wäre in diesem Sinne am jeweiligen Hochschulstandort zu fragen, welche netzwerkartigen Strukturen sich gebildet haben und welche Diskursimpulse in ihnen weiterhin wirksam sind.

Als ein bedeutsames Phänomen könnte hier meines Erachtens der Diskurs um Inklusion gelten. Inklusion wurde an den meisten Standorten substantiell behandelt und verankert. Dies ist ein „bleibender Impuls“, auch und gerade wenn inzwischen die bildungspolitische Unterstützung auf Seiten einzelner Bundesländer deutlich nachgelassen hat. Damit ist durch die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ ein nachhaltiger Diskursimpuls gesetzt, der sich in Netzwerken weiterverbreiten kann, auch wenn bildungspolitisch strukturelle Rahmenbedingungen im jeweiligen Bundesland immer noch diesem pädagogischen Grundgedanken entgegenstehen. Es lohnt also, sich auf die Suche nach solchen Diskursimpulsen und Netzwerkstrukturen am eigenen Standort zu machen, um zu überlegen, wie diese auch in die folgenden Jahre transferiert werden können.

Transfer in Zeiten der „Kultur der Digitalität“

Eine weitere derzeit wirksame Gedankenfigur ist Felix Stalders Topos der „Kultur der Digitalität“. Entsprechend könnten die „Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten“ des Bundes hier hoch funktional sein, da sie als inhaltlich weitgehend offene Struktur einen Raum dafür bieten, die Inhalte der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ medienpädagogisch gewendet in eine „Kultur der Digitalität“ zu überführen. Vor dem Hintergrund der Transformationsherausforderungen unserer Gesellschaft (zum Beispiel Künstliche Intelligenz, Bildung für nachhaltige Entwicklung) könnte dies eine gute Strategie sein, am eigenen Universitätsstandort die Diskursimpulse der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ als „bleibende Impulse“ zu verankern, so wie dies in Bielefeld für den Bereich der Lehrkräftefortbildung durch die neu gegründete „Transferstelle Bielefeld Bildung digital“ (TraBBi_digital) geschieht. Man darf gespannt sein, welche Strategien hier die jeweiligen Standorte in den nächsten Jahren entwickeln werden.

Nachhaltigkeit in Zeiten der Krise

Schließlich sind solche nachhaltigen Diskursimpulse besonders bedeutsam in Zeiten, in denen sich die Lehrkräftebildung in Deutschland paradoxerweise nach fast zehn Jahren „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ in ihrer größten Krise seit den 1970er Jahren befindet. Gerade jetzt sind wir an der Universität Bielefeld froh, dass wir diese Diskursstrukturen aufgebaut haben, um damit den Herausforderungen der nächsten Jahre mit einer noch heterogeneren Studierendenschaft und sich weiter ausdifferenzierenden Qualifikationsangeboten vom Studium bis zur Fort- und Weiterbildung adäquat begegnen zu können. Zu hoffen ist, dass an vielen Standorten die Erkenntnisse, Netzwerke und Produkte der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ genutzt werden können, um die derzeitige Krise der Lehrkräftebildung abzumildern.


Prof. Dr. Martin Heinrich ist Professor für Schulentwicklung und Schulforschung, Wissenschaftlicher Leiter der Versuchsschule Oberstufen-Kolleg, Vorstandsmitglied der BiSEd sowie Projektleiter des Bielefelder QLB-Projekts „BiProfessional“ und vereint somit verschiedenste Schnittstellen.