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Künstliche Intelligenz im Unterricht: Herausforderungen und Chancen der wichtigen Zukunftstechnologie : Datum:

Die Digitalisierung in der Bildung bringt seit einigen Jahren ungeahnte Möglichkeiten, den Unterricht zu verändern und das Bildungsangebot individuell und adaptiv den Lernenden anzupassen. Seit kurzem erlebt die Technologie der Künstlichen Intelligenz (KI) einen großen Auftrieb und verspricht den Unterricht noch grundlegender umzuwälzen. Doch wie kann KI den Schulunterricht voranbringen, und welche Gefahren bergen sich dabei?

Eine Hand, die einen Stift hält, zeigt auf zwei Bildschirme.
Im Teilprojekt „HyperMind“ des Kaiserslauterer Projekts „Unified Education: Medienbildung entlang der Lehrerbildungskette (U.EDU)“ wurden Augenbewegung der Lernenden gemessen und das Lehrmaterial adaptiv auf die erkannten kognitiven Zustände angepasst. © DKFI

Die Digitalisierung im Unterricht verspricht seit Jahren, eine völlig neue Art des Unterrichts zu ermöglichen. Nun ist es möglich Sachverhalte audio-visuell in verschiedenen Repräsentationen zu veranschaulichen und mit adaptivem Lernmaterial individuell auf Schülerinnen und Schüler (SuS) einzugehen. Den SuS soll es möglich sein, direkt auf einen großen Wissensschatz zuzugreifen und gezielt an Informationen zu gelangen. Das Aufkommen von ChatGPT in den letzten Monaten hat diesen Prozess der Informationssuche enorm beschleunigt. Zum ersten Mal steht eine Künstliche Intelligenz zur praktisch freien Verfügung, welche auf Aufforderung ganze Seiten von fließendem Fach-Text generieren kann. Nach Eingabe von „Ich benötige einen dreiseitigen Text über Deutschland nach 1990“ legt die Künstliche Intelligenz los und generiert innerhalb von wenigen Sekunden das gewünschte Ergebnis. Im Gegensatz zu früheren Computer-generierten Texten enthalten diese Schriftstücke praktisch keinerlei Grammatik- oder Rechtsschreibfehler und lesen sich fast so, als ob sie von einem Menschen erzeugt worden wären. Individuell können hierbei gezielt Informationen angefragt werden (zum Beispiel „Erkläre mir es auf dem Niveau eines 10-Jährigen“).

Screenshot aus ChatGPT zum Prompt „Erkläre mir den Vorteil von ChatGPT für die Bildung in einem Satz.“ vom 01.06.2023
ChatGPTs Selbstverständnis zum Thema „Bildung“. © Screenshot aus ChatGPT

Wahrscheinliche, nicht unbedingt richtige Antworten, aber immer sehr überzeugende

Das Prinzip hierhinter ist einfach, aber ziemlich genial. Während des Trainingsprozesses werden ChatGPT Millionen von Texten vorgelegt. Der Computer merkt sich nun, welche Wörter immer in Zusammenhang mit anderen Wörtern auftreten. Die KI lernt damit, welche Wörter wahrscheinlich hintereinander auftreten. Den einzelnen Wörtern wird ein Vektor im „semantischen Raum“ zugeordnet. Wörtern, welche häufig beieinander zu finden sind, werden auch im semantischen Raum ähnliche Vektoren zugeordnet. Stellt man nun eine Anfrage an ChatGPT versucht dieses, eine Antwort zu erzeugen, basierend darauf, welche Wörter nach und nach am wahrscheinlichsten die nächsten Wörter im Satz darstellen. ChatGPT weiß also nicht wirklich, ob eine Antwort richtig oder falsch ist, sondern versucht einfach nur zu „raten“, welche Wörter nun am passendsten sind.

Hier sieht man auch schon das Problem der KI. Zwar werden grammatikalisch korrekte Texte erzeugt, die für die Lösung der Aufgabe nötigen Wörter kommen auch darin vor, doch ob der erzeugte Text in Bezug auf die Aufgabenstellung einen Sinn ergibt, folgt daraus nicht. So sind Fälle bekannt, in denen wissenschaftliche Paper und juristische Stücke mit ChatGPT erzeugt wurden, bei denen Quellen- und Urteils-Angaben eine wilde Mischung aus verschiedenen Quellen sind. Der Umgang mit den erzeugten Texten ist somit schwierig und ohne ausreichende Fachkenntnisse können die Ergebnisse nicht direkt verwendet werden.

Diese Eigenschaften machen den Einsatz in der Schule problematisch. Logischerweise ist es für Schülerinnen und Schüler verlockend, eine KI zur Bearbeitung der eigenen Hausaufgaben zu verwenden. Ein Befehl – und der sonst mehrstündige Aufwand – kürzt sich auf ein paar Minuten zusammen. Gleichzeitig sind es gerade die Lernenden, die nicht von sich aus beurteilen können, ob der generierte Text nun den Tatsachen entspricht oder Dinge unzuverlässig aus verschiedenen Texten zusammengestellt wurden. ChatGPT ist dabei aber immer sehr überzeugend. Auch im Bereich der Mathematik, in dem sich nicht einfach Wörter aneinanderhängen lassen, beharrt ChatGPT auf seinen falschen Antworten.

Screenshot aus ChatGPT zum Prompt „Kannst du 36 Plättchen A1 bis F6 so in einem Quadarat anordnen, dass in jeder Zeile und Spalte jede Ziffer und jeder Buchstabe nur einmal vorkommt?“ vom 01.06.2023
ChatGPT zum, von Euler bewiesen, nicht lösbaren Regimente-Problem. Zum Beispiel kommt F2 in der Mitte doppelt vor. © Screenshot aus ChatGPT

Notwendige Kompetenzen werden sich ändern

Den SuS muss somit eine KI-Kompetenz beigebracht werden, nicht alles blindlings von der KI zu übernehmen. Auch noch so überzeugende Text müssen prinzipiell auf ihre Faktentreue untersucht werden, was jedoch dem Wunsch vieler Lernenden entgegensteht, die Arbeit mit Hilfe von KI zu verkürzen. Man muss sich jedoch nichts vormachen, mit zunehmender Datenmenge, besserem Training, der Anbindung von weiteren Diensten durch Plugins (wie zum Beispiel mathematischen Solvern) werden generative KIs mehr und mehr richtige Antworten produzieren, weswegen das Thema wohl in den Hintergrund treten wird und andere Dinge wichtiger werden. Schon heute prophezeien Forscher, dass es in Zukunft nicht mehr wichtig ist, herausragend programmieren zu können, sondern man als „Prompt-Designer“ wissen muss, mit welchen Befehlen man sich von der KI das gewünschte Ergebnis erzeugen lassen kann. Dies wird in Zukunft einen großen Stellenwert einnehmen.

Auch für Lehrkräfte ergeben sich neue Herausforderungen. Nach dem Bekanntwerden des Einsatzes von generativer KI während Abiturprüfungen in Hamburg ist noch strenger darauf zu achten, dass keinerlei elektronische Hilfsmittel in Prüfungssituationen verwendet werden können (was sowieso schon der Fall sein sollte). Das behandelt in dem Fall aber nur die Symptome und nicht die eigentliche Ursache, dass oft nur Reproduktion von Inhalten gefragt ist und die dahinterliegenden Konzepte und Kompetenzen nicht abgefragt werden. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, den Unterricht so zu konzipieren, dass SuS nicht einfach Dinge auswendig lernen müssen, sondern die zum Lösen der Aufgaben nötigen Kompetenzen erlernen. Des Weiteren müssen die Lehrkräfte den SuS die ethischen und moralischen Risiken der KI klarmachen. Vorurteile finden über die Trainingsdaten Einzug in die generierten Antworten und werden von Lernenden teils unkritisch übernommen.

Mit KI zur automatischen adaptiven Lernendenunterstützung

Künstliche Intelligenz kann aber auch auf andere Weise sehr nützlich im Bereich der Bildung sein. Bei der Bearbeitung digitaler Unterrichtsmaterialien fallen diverse Daten an, welche Rückschlüsse auf den Lern-Prozess ermöglichen. Stellvertretend sei hier das Teilprojekt „HyperMind“ des Projekts „Unified Education: Medienbildung entlang der Lehrerbildungskette (U.EDU)“ der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ genannt, in dem die Augenbewegung der Lernenden gemessen und das Lehrmaterial adaptiv auf die erkannten kognitiven Zustände angepasst wurde. Auch ohne den Einsatz von Sensoren fallen zum Beispiel beim Bearbeiten von Moodle-Kursen viele Daten an, wie beispielsweise Bearbeitungszeiten, Test-Ergebnisse und ausgewähltes Lernmaterial, welche sich mit Hilfe von KI ebenfalls auswerten lassen, um den Moodle-Kurs automatisch individuell an die Lernenden anzupassen. Damit ist eine automatische adaptive Unterstützung der SuS gewährleistet.

Screenshot eines englischen Textes, zu dem basierend auf Eyetracking-Daten automatisch eine durch ChatGPT erzeugte Zusammenfassung angezeigt wird.
Automatische Texterklärung von ChatGPT basierend auf Erkennung von Lernschwierigkeiten mit Hilfe von Sensordaten. © DFKI/Nicolas Großmann

KI wird nicht wieder verschwinden

Sicher ist, dass in Zukunft KI im Unterricht ein erheblicher Stellenwert eingeräumt werden muss. Werden Lernende gezielt über die Einschränkungen der KI aufgeklärt, wird ihnen gezeigt, mit welchen Befehlen man individuelle Hilfestellungen erhält und wird Lehrpersonal dahingehend sensibilisiert, Fragestellungen zu entwickeln, welche sich nicht durch reine Reproduktion von Textwissen lösen lassen, ermöglicht der Einsatz von KI bis jetzt nicht dagewesene Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und der adaptiven, individuellen Unterstützung von Lernenden.


Dr. Nicolas Großmann ist Senior Researcher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern und leitet dort iQL – das Immersive Quantified Learning Lab. Von 2016 bis 2018 arbeitete er im U.EDU-Teilprojekt „HyperMind“ der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“.