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Zur Zukunftsfähigkeit der Lehrkräftebildung in Mangelzeiten : Datum:

Das deutsche System der Lehrkräftebildung bildet seit Jahrzehnten nicht bedarfsdeckend aus. Das vielfach analysierte Problem ist weder temporär noch regional, sondern dieses Versorgungsdefizit ist das Ergebnis eines langjährigen Ausbildungsdefizits. Spätestens seit 2009 wird die Kultusministerkonferenz ihrem selbst formulierten Anspruch auf eine übergeordnete Steuerung im Lehrkräftebereich nicht gerecht. Angesichts des ansteigenden Handlungsdrucks werden drei Meilensteine auf den Weg zu einer zukunftsfähigen Lehrkräftebildung aufgezeigt.

Ein Lehrer hält ein Arbeitsblatt in der linken Hand und steht vor einer Leinwand mit Präsentationsfolie.
Motivierte Lehrkräfte werden (nicht nur für den naturwissenschaftlichen Unterricht) in Deutschland gebraucht. © BMBF/Michael Kowalczyk

Von Mark Rackles

Wenn ein System wie das der deutschen Lehrkräftebildung über einen sehr langen Zeitraum weder bedarfsdeckend (der Höhe nach) noch bedarfsgerecht (über die Schularten und Fächer hinweg) ausbildet, dann stellt sich die Frage nach seiner Zukunftsfähigkeit. Das vielfach analysierte und nachgewiesene Problem ist weder temporär noch regional: Bundesweit übersteigt der Bedarf das Angebot an Lehrkräften seit 20 Jahren um bis zu 40%. Das Versorgungsdefizit ist das Ergebnis eines langjährigen Ausbildungsdefizits: Die wenigsten Bundesländer bilden ihren minimalen Eigenbedarf aus, den man grob mit den altersbedingten – und somit vorhersehbaren – Abgängen eines Jahrgangs bestimmen kann.
Fachverbände schätzen die Zahl der unbesetzten Stellen im laufenden Schuljahr auf mindestens 30.000 ein. Dieses strukturelle Lehrkräftedefizit bleibt auch künftig auf hohem Niveau erhalten: Im Januar 2023 hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) der Kultusministerkonferenz (KMK) prognostizierte Fehlbedarfe zwischen 31.000 (KMK bis 2030) und 85.000 bzw. 156.000 (2035) aufgeführt. Die SWK sprach für die KMK erstmals aus, was in dieser Deutlichkeit bisher peinlichst vermieden wurde:

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Das Problem des Lehrkräftemangels wird aller Voraussicht nach in den kommenden 20 Jahren bestehen bleiben.

(Stellungnahme der SWK 2023, S. 8)

Wenn ein Problem bundesweit und dauerhaft besteht, dann generiert dies einen Handlungsdruck, auf den länderübergreifend und systemisch (strukturell) reagiert werden müsste. In den letzten Monaten konnte man jedoch das Gegenteil bei den Ländern beobachten, die sich in ihre jeweiligen Einzellogiken flüchteten und mehr oder weniger abgestimmt Notmaßnahmen eingeleitet haben. Besonders prominent rangierte hier Bayern mit der klaren Ansage des Ministerpräsidenten, dass bei Bedarf eben Lehrkräfte in anderen Ländern durch bessere Besoldung abgeworben werden. Prominent auch Brandenburg mit seinem Alleingang zur Verbeamtung von sogennanten Seiteneinsteigenden auf Bachelor-Niveau.

Eine übergeordnete Steuerung findet nicht statt, obwohl das Steuerungsziel bedarfsgerechter Ausbildungskapazitäten spätestens seit 2009 durch die KMK formuliert wurde. Angesichts des unveränderten Steuerungsdefizits im Bereich der Lehrkräftebildung wurde in der Ländervereinbarung von 2020 die Verpflichtung zu „bedarfsgerechten Ausbildungskapazitäten“ in abgeschwächter Form erneuert. Über diesen Zeitraum hinweg hat sich das komplexe Studienangebot mit Abschlussziel Lehramt (32 Länderministerien, über 109 Universitäten, über 5.000 Studiengänge) weiter ausdifferenziert (knapp 40% mehr Studiengänge). Im gleichen Zeitraum ist der Output dieses überkomplexen Systems nicht gestiegen, sondern gesunken.

Die Länder „steuern“ aktuell mit einer Vielzahl von Einzel- und Sondermaßnahmen zur Bedarfsdeckung, die sowohl an der Angebotserhöhung (mehr Fachkräfte) als auch an der Schraube Bedarfssenkung (weniger Einstellungsbedarf) ansetzen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass die meisten Maßnahmen der Länder in der Regel kurzfristig ausgerichtet sind und bedarfssenkend wirken sollen (so auch die Empfehlungen der SWK). Die langfristig wirksame und angebotserhöhende Antwort auf die langjährige Mangelsituation, die Erhöhung der Ausbildungskapazitäten und der Absolvierendenquote, wird dagegen nicht systematisch betrieben.

Dieses Steuerungsdefizit stößt immer stärker auf öffentliches Unverständnis. Die Süddeutsche sprach Ende 2022 von der „größten Bildungskrise seit PISA“, das BMBF bescheinigt der Bildungsrepublik im Februar 2023 eine „tiefe Krise“ und die Zivilgesellschaft forderte zeitgleich mit einem breiten Appell an Bundeskanzler und Länderchefs einen Bildungsgipfel, um die „strukturellen Probleme“ auch im Hinblick auf den „massiven Mangel an Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften“ anzugehen.

Angesichts des sachlichen Problemdrucks und des öffentlichen Handlungsdrucks müssen die Länder aus dem bisherigen unverbindlichen Verlautbarungsmodus in einen verbindlichen Handlungsmodus wechseln. Notwendig ist eine länderübergreifende und verbindliche Koordinierung, die auf gemeinsame Ziele und Standards ausgerichtet ist:

  1. Auf der Ebene horizontaler Kooperation zwischen den Ländern ist ein Bildungsstaatsvertrag zur Deckung des Lehrkräftebedarfs („Zukunftsvertrag Lehrkräftebildung“) ein geeignetes und in anderen Bereichen der KMK bewährtes Instrument der Länderkoordinierung. Der notwendige Ausbau von Kapazitäten durch einen Bildungsstaatsvertrag sollte durch eine Ausbildungsoffensive Bildung flankiert werden.
  2. In Bezug auf die vertikale Kooperation zwischen Bund und Ländern sollten die Länder mittelfristig das vom Bund angebotene „Kooperationsgebot“ im Bildungsbereich aufgreifen und ein föderales Update des Bildungssystems im Sinne eines kooperativen Bildungsföderalismus verhandeln. Dazu gehört unter Wahrung der Länderhoheit im Bildungs- und Kulturbereich die Revision des faktischen Kooperationsverbots und eine Öffnung des aktuell auf Investitionen in Bildungsinfrastruktur beschränkten Art. 104c Grundgesetz. Eine dauerhafte Ko-Finanzierung der universitären Lehrkräftebildung durch den Bund sollte künftig ermöglicht werden.
  3. Kurzfristig sollten die Länder innerhalb des gegebenen Rechtsrahmens informelle Kooperationsstrukturen in Bezug auf die Lehrkräftebildung mit dem Bund ausbauen. Als Muster der Bund-Länder-Kooperation eignet sich in diesem Zusammenhang die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK), die in einer weniger verbindlichen Version per Verwaltungsvereinbarung ein paritätisches Format der Konsultation und Koordination von Bund und Ländern im Bildungsbereich darstellen könnte.

Drei Schritte zu einer zukunftsfähigen Lehrkräftebildung in Deutschland. Es wäre der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" zu wünschen, dass sie in absehbarer Zeit eine kleine Schwester bekommt: „Strukturoffensive Lehrerbildung“. Bund und Länder sollten sich dringend näherkommen.


Mark Rackles war von 2011 bis 2019 Staatssekretär für Bildung in Berlin und langjähriger Amtschef in der KMK. Er ist seit 2020 freiberuflich als Berater und Inhaber eine Bildungsagentur tätig und seit 2021 Gastwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).