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Lehrkräfte als Agenten der Demokratie – ein Projekt der Universität Jena : Datum:

Schule und Unterricht orientieren sich in Deutschland an der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der sie leitenden Prinzipien. Sie als Orte der Demokratiebildung zu denken, ist für Lehrpersonen in komplexen pädagogischen Situationen allerdings oft schwierig. Das Projekt „Lehrkräfte als Agenten der Demokratie (LADi)“ an der Friedrich-Schiller-Universität Jena strebt daher in interdisziplinären Projektteams die Professionalisierung der Lehrkräfte im Themenfeld Demokratiebildung an.

Schwarzweißfoto einer Demonstration: Eine junge Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift „ERROR 155: Democracy not found” hoch.
Ist die Demokratie in der Krise? © Randy Colas/Unsplash

Von Nils Berkemeyer, Ralf Koerrenz, Michael May und Laurenz Volkmann

"Das gesamte Schulwesen steht unter der Aufsicht des Staates". Diese Bestimmung der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland als Teil des Öffentlichen Rechts regelt das Verhältnis des Staates zu den Bürgerinnen und Bürgern als Eltern sowie deren Kindern. Wie das Schulsystem organisiert wird und welche Inhalte in Schulleben und Unterricht vermittelt werden sollen, liegt damit faktisch in der Verantwortungshoheit des Staates. Im bundesdeutschen Bildungsföderalismus wird diese allgemeine Rahmensetzung auf der Ebene der Bundesländer konkretisiert. Unter den Bedingungen einer allgemeinen Schulpflicht betonen sämtliche Bundesländer zumeist bereits in den ersten Paragrafen ihrer Schulgesetze die politische Dimension von Schule und Unterricht. Dabei wird die Orientierung des öffentlichen Schul- und Unterrichtswesens an der Demokratie und den sie leitenden Prinzipien herausgestellt, wie sie beispielsweise in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 oder der Verfassung der Bundesrepublik von 1949 festgelegt sind. Ganz in diesem Sinne hält auch die Kultusministerkonferenz in ihrem Beschluss zur Demokratiebildung von 2018 fest:

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Kinder und Jugendliche brauchen ein Wertesystem, in dem sie sich orientieren können. Schule ist dafür verantwortlich, ihnen eines zu vermitteln, das den freiheitlichen und demokratischen Grund- und Menschenrechten entspricht.

Beschluss zur Demokratiebildung der Kultusministerkonferenz 2018

Politik- und bildungstheoretisch ist diese klare Ausrichtung keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Aus welchem Grund sollte ein sich als liberal-demokratischer verstehender Staat, der seinen Bürgerinnen und Bürgern umfangreiche Schutz- und Autonomierechte gewährt, formierend in die Werteerziehung seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen?

Die Notwendigkeit von Demokratiebildung

Entgegen von Tendenzen, die der politischen Grundausrichtung wenig Beachtung schenken, heben die Beteiligten des Projekts "Lehrkräfte als Agenten der Demokratie" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena hervor, dass gerade die liberale Demokratie, die die Weltanschauungen ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht normiert und damit auch erhebliche Spaltungsrisiken der Gesellschaft in Kauf nimmt, demokratische Einstellungen und Fähigkeiten vermitteln sollte. Denn erst diese Einstellungen und Fähigkeiten ermöglichen ein friedliches Zusammenleben unter pluralen Bedingungen. Gleichzeitig vertreten die Projektbeteiligten die Auffassung, dass Demokratie als Gegenstand und Prozessmerkmal in Schule und Unterricht erhebliches Bildungs- und Lernpotenzial freisetzen kann – ohne damit die Unterschiede der beiden Kontexte negieren zu wollen.

Keine Demokratiebildung ohne Professionalisierung

Schule und Unterricht als Orte der Demokratiebildung zu denken, bedeutet auch, sich die Ambivalenzen und Schwierigkeiten dieser Aufgabe zu vergegenwärtigen. Denn Demokratiebildung verpflichtet zwar auf das Ringen um die Ausdeutung der Grund- und Menschenrechte – aufgrund der unaufhebbaren Freiheit der Lernenden sowie der Spannungsverhältnisse zwischen den Grund- und Menschenrechten selbst, ist eine Erfolgsgarantie aber nicht gegeben. Die gleichzeitige Orientierung auf demokratische Werte und pädagogische Standards beinhaltet, dass Lehrerinnen und Lehrer Handlungsoptionen abwägen und balancieren müssen. Solche Abwägungen sind unter den Bedingungen komplexer und dynamischer pädagogischer Situationen oft nicht leicht.

Um Professionalität entwickeln zu können, sind politisches Interesse, Zeitungslektüre und auch eine demokratische "Haltung" zwar wichtig und grundlegend, reichen jedoch nicht aus. Vielmehr braucht es in allen Phasen der Lehrkräftebildung eine kritisch-reflektierte Vorbereitung auf diese Herausforderung. Abgesehen von wenigen Ausnahmen wird Demokratiebildung in der ersten Phase der Lehrkräftebildung jedoch kaum sichtbar. Betont man jedoch Relevanz der Demokratiebildung als Querschnittsthema, müsste dies notwendigerweise eine querschnittliche Verankerung des Themas in der Lehrkräftebildung nach sich ziehen.

LADi – Ein interdisziplinäres Entwicklungsprojekt für Demokratiebildung

Ein zentrales Anliegen des Projekts LADi besteht darin, das Thema der Demokratiebildung in den Relevanzhorizont der Lehramtsstudierenden zu rücken, um – mit einer Perspektive über die Projektlaufzeit hinaus – Möglichkeiten der strukturellen Verankerung zu erkunden. Inhaltlich ist LADi interdisziplinär aufgestellt. Wie in jedem Teilprojekt der "Qualitätsoffensive Lehrerbildung" an der Universität Jena, arbeiten Mitarbeitende der Bildungswissenschaften und der Fachdidaktik zusammen.

  • Im ersten Unterprojekt werden die Einstellungen von Studierenden des Lehramts im Rahmen einer quantitativen Erhebung untersucht. Auf diese Weise sollen Erkenntnisse über wesentliche Voraussetzungen und Dimensionen demokratiesensibler Professionalisierung gewonnen werden. Die Analysen der Daten aus der ersten Erhebungswelle zeigen, dass Faktoren wie "politische Offenheit im Unterricht" und die "Akzeptanz von Schülermeinungen" einen positiven Einfluss auf demokratiebezogenen Einstellungen haben. Für die zweite Erhebungswelle wurden die Instrumente überarbeitet.
  • Das zweite Unterprojekt adressiert das interkulturelle Lernen der Studierenden im "Praxissemesters im Ausland" (PSA). Das PSA bietet nicht nur ein Mobilitätsfenster für internationalen Austausch im Lehramtsstudium mit dem Ziel fremdsprachlichen und interkulturellen Kompetenzgewinns, sondern verschafft durch Begleitmaßnahmen auch Gelegenheiten für nachhaltige Reflexionsprozesse über kulturelle Positionierungen und Diversitätserfahrungen. Damit liefert es einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung im von kultureller Heterogenität geprägten Klassenzimmer des 21. Jahrhunderts.
  • Ein weiteres Unterprojekt richtet sich auf „globale und postkoloniale Bildung“ und strebt an, einerseits exemplarisch Wahrnehmungsmuster von Studierenden zu erheben und andererseits mit der Evaluation von vorhandenen Lehr-Lern-Materialien wie der Reihe "Politisch denken lernen mit Religion und Ethik" Vorarbeiten für weitergehende Implementierungen von Angeboten zur Demokratiebildung zu liefern.
  • Im Projekt "Demokratiebildung mit politikfernen und demokratiekritischen Jugendlichen" (DEEDu) werden fachunterrichtliche didaktische Strategien im Bereich Sozialkunde in Ko-Konstruktion mit Studienseminaren des Regelschullehramts entwickelt und erprobt. Dabei wird experimentell untersucht, wie sich Strategien der kontroversen Unterrichtsorganisation auf die Ausbildung von politischer Urteilsbildung auswirken. In diesem Zuge werden auch Materialien und Bausteine für die erste und zweite Phase der Lehrkräftebildung entwickelt.

Formate der Professionalisierung für Demokratiebildung

Im Hinblick auf die Formate der Professionalisierung für Demokratiebildung experimentieren die Projekte mit unterschiedlichen Zugängen. Während das PSA reale Erfahrungsräume für die Professionalisierung gerade in der reflexiven Verarbeitung fruchtbar macht, gestaltet "Globale Bildung" vornehmlich Reflexionsräume für Studierende und DEEDu nutzt Erprobungsräume für den experimentellen Umgang mit Unterrichtsentwicklungen.

Neben der inhaltlichen Arbeit strebt das Projekt auf struktureller Ebene an, Demokratiebildung als Gegenstand der Professionalisierung von Lehramtsstudierenden nachhaltig zu verankern. Dies geschieht unter Hinzuziehung weiterer Expertise an der Universität Jena, zum Beispiel aus dem "Kompetenzzentrum Rechtsextremismus, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration". Um dieses Ziel zu erreichen, wurden vorbereitend auf einer "Summer School Demokratiebildung" sowie einer Werkstatttagung "Demokratiebildung in der ersten Phase der Lehrerbildung", durch die eine Vernetzung mit anderen Standorten der Lehrkräftebildung erreicht werden konnte, Formate der Professionalisierung sowie Möglichkeiten und Hürden der strukturellen Verankerung diskutiert. Auf der Grundlage dieses Austauschs sowie der Erfahrungen in den Unterprojekten von LADi werden momentan Konzeptideen für profilierende Studiengänge entwickelt, in denen die gesammelten Erfahrungen zusammengeführt werden sollen.


Dr. Nils Berkemeyer ist Professor für Schulsystementwicklung am Institut für Erziehungswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem Schulsystemforschung, Bildungsgerechtigkeit, Governance, deliberative Profession.

Dr. Dr. Ralf Koerrenz ist Professor für Historische Pädagogik und Globale Bildung am Institut für Bildung und Kultur der Universität Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem die Konzeptualisierung der kritisch-operativen Pädagogik, Semitismus als Kulturmuster und Reformpädagogik.

Dr. Michael May ist Professor für Didaktik der Politik an der Universität Jena. Seine Arbeitsschwerpunkte sind unter anderem politische Urteilsbildung im fachlichen Lernen sowie der schulische Umgang mit demokratie- und menschenfeindlichen Einstellungsmustern.

Dr. Laurenz Volkmann ist Professor für Englische Fachdidaktik an der Universität Jena. Er beschäftigt sich besonders mit literatur-, kultur- und mediendidaktischen Themen sowie mit der Behandlung von „global issues“ im Fremdsprachenunterricht.